- Physiknobelpreis 1992: Georges Charpak
- Physiknobelpreis 1992: Georges CharpakDer polnisch-französische Physikerwurde für die Erfindung und Entwicklung von Teilchendetektoren sowie insbesondere der Vieldrahtproportionalkammer ausgezeichnet.Georges Charpak, * Dąbrowica (heute Dubrowyzja, Ukraine) 1. 8. 1924; 1947-59 Tätigkeit am Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in Paris, 1955 Promotion am Collège de France, ab 1959 Forschung am CERN bei Genf; seit 1984 Professor an der École Supérieure de Physique et Chimie Industrielles in Paris.Würdigung der preisgekrönten LeistungGeorges Charpak gebührt der Nobelpreis als wegweisendem Entwickler von Teilchendetektoren in der Hochenergiephysik. Seine Vieldrahtproportionalkammer hat dem Erkenntnisfortschritt den Weg bereitet. Ohne den Detektor und seine Weiterentwicklung zur Driftkammer wäre zum Beispiel die Entdeckung der Vektorbosonen nicht möglich gewesen.Detektoren sind eine ErfolgsgeschichteUm die Reaktionen der in Beschleunigern zertrümmerten Teilchen richtig zu interpretieren, ist es erforderlich, jedes Sekundärteilchen zu erkennen. Deshalb ist die Physik stets auf der Suche nach feineren Nachweismethoden. Die Geschichte der Detektoren ist eine große Erfolgsgeschichte der Physik, die fast in allen Phasen mit Nobelpreisen bedacht worden ist. Der schottische Meteorologe Charles Wilson (Nobelpreis 1927) machte den Anfang. Mithilfe seiner Nebelkammer wies der englische Physiker Patrick Blackett (Nobelpreis 1948) die Elektron-Positron-Paarbildung nach. Die geringe Dichte der Nebelgase führte jedoch nur sehr selten zu Kollisionen zwischen den Gasatomen und energiereichen Partikeln. Der amerikanische Physiker Donald Glaser (Nobelpreis 1960) entwickelte das Prinzip weiter zur Blasenkammer. Hier produzieren die Teilchen keine Nebelspuren, sondern Bläschenspuren in einer überhitzten Flüssigkeit. Sein Kollege Luiz Alvarez (Nobelpreis 1968) entdeckte damit das Resonanzteilchen Xi (Chi). Mehr als ein Teilchendurchgang je Sekunde ließ sich allerdings mit der Kammer nicht registrieren.Der englische Physiker Cecil Powell (Nobelpreis 1950) löste sich von diesem Grundprinzip. Ihm gelang es 1947 mit dicken fotografischen Kernspurplatten, das von dem Japaner Hideki Yukawa (Nobelpreis 1949) postulierte Pion nachzuweisen. Die Funkenkammer eignet sich für Teilchen mit sehr geringer Wechselwirkung. Deren Entwicklung ist vor allem von dem Deutschen Erich Bagge und dem Amerikaner James Cronin (Nobelpreis 1980) vorangetrieben worden. Dringt ein geladenes Teilchen in die Kammer ein, wird das enthaltene Gas längs der Teilchenbahn ionisiert. Durch die Hochspannung zwischen den parallelen Aluminiumplatten bilden sich dort durch Stoßionisation leuchtende Funken aus, die fotografiert werden können. Cronin gelang damit der Nachweis der CP-Symmetrieverletzung.Die beschriebenen Detektortypen sind nicht mehr in Gebrauch. Noch feinere Messprinzipien haben sich etabliert. Mit der von Erich Regener entwickelten Szintillationsmethode ließen sich zum ersten Mal einzelne Teilchen beobachten. Energiereiche Teilchen dringen in eine Kammer ein und geben ihre Energie schrittweise an einen Stoff ab, der sie in Form detektierbarer Lichtblitze wieder abgibt. Das Licht trifft auf eine Kaskade von Fotokathoden, die das Signal lawinenartig verstärken. Am Ende ist es so stark, dass es gezählt werden kann. Um die Teilchen räumlich zu erfassen, werden mehrere Szintillationszähler zu einer dreidimensionalen Matrix zusammengefasst.Geiger legte den GrundsteinDas Geiger-Müller-Zählrohr (Hans Geiger 1882-1945; Walter Müller 1905-1979) ist ein direkter Vorläufer der Drahtkammer. An einen gasgefüllten Zylinder wird zwischen dem Gehäuse als Kathode und einem Draht im Innern als Anode eine Spannung angelegt. Durchläuft ein ionisierendes Teilchen das Gasvolumen, erzeugt es auf seiner Flugbahn Elektronen-Ionen-Paare. Die anliegende Spannung von einigen tausend Volt trennt die Ladungsträger, die sofort entlang der elektrischen Feldlinien zu den Elektroden driften. Eine Ionisation führt zu Elektronen- und Ionenlawinen. Das sehr starke Signal ist deshalb nicht proportional zur Zahl der Ionisationen. Das Geiger-Müller-Zählrohr eignet sich nur zum einfachen Aktivitätsnachweis für Radioaktivität.Aus den Zählrohren entwickelten sich die Ionisationskammern, bei denen Draht und Gehäuse durch Kondensatorplatten ersetzt sind. Durch eine niedriger angelegte Spannung tragen alle erzeugten Elektronen und Ionen zum Signal bei, das der tatsächlichen Zahl der Ionisationen entspricht. Erhöht man die Spannung, wird die Ionisationskammer zum Proportionalzähler. Die erzeugten Elektronen werden so stark beschleunigt, dass sie ihrerseits weitere Gasatome ionisieren. Das Signal wächst stark an, bleibt aber proportional zur Zahl der Ionisationen.Georges Charpaks Entwicklung stützt sich im Grunde auf alle beschriebenen Detektortypen. Die Leistungsfähigkeit der Vieldraht-Proportionalkammer hatte das Nobelkomitee so überzeugt, dass Charpak nach 24 Jahren noch ausgezeichnet worden ist. Drahtkammern sind Ionisationskammern. Die Kondensatorplatten sind durch positiv und negativ geladene Drähte ersetzt. Die Anoden- und Kathodendrähte moderner Drahtkammern bilden ein räumliches Gitter. Ein einfliegendes Teilchen ionisiert Gasmoleküle. Die erzeugten Ladungsträger werden zu den entsprechenden Drahtelektroden beschleunigt und dort als Signal registriert. Aus den gewonnenen Daten lässt sich die Flugbahn des ursprünglichen Teilchens rechnerisch rekonstruieren.Viele Drähte erhöhen die AuflösungCharpaks Ansatz war vor allem ein Durchbruch in der räumlichen Präzision. Die Kathode seines Prototypen bestand aus einem in mehreren Ebenen parallel angeordneten Drahtgitter mit Abständen von wenigen Zentimetern. Die ein zehntel Millimeter dünnen Anodendrähte lagen dazwischen. Entgegen der physikalischen Lehrmeinung machte Charpak jeden einzelnen Draht zu einem unabhängigen Proportionalzähler, der jeweils mit einem eigenen Vorverstärker von zehn Kiloohm Eingangswiderstand verbunden war. Sein Konstruktionsprinzip brachte eine räumliche Auflösung von weniger als einem Millimeter. Mit jedem Draht ließen sich mehrere hunderttausend Partikel je Sekunde registrieren und auswerten. Die zeitliche Auflösung lag, je nach Zählgas, bei etwa 100 Nanosekunden.Die Ausbeute an ionisierenden Teilchen lag nahe 100 Prozent. Auch hatten starke Magnetfelder keinen Einfluss auf den Wirkungsgrad. Doch Charpak und seine Kollegen waren noch nicht zufrieden. Ein Jahr später präsentierten sie, gleichzeitig mit der Arbeitsgruppe von Joachim Heintze vom Physikalischen Institut der Universität Heidelberg, die Driftkammer. Mit ihr werden konsequent die elektronischen Rechenkapazitätengenutzt. Die im Zählgas durch Ionisation freigesetzten Elektronen benötigen bis zu 0,3 Mikrosekunden, um zum nächsten Anodendraht zu driften. Die Driftzeit, die vom Druck, der Art des Zählgases, der Stärke des elektrischen Felds und vom Drahtabstand abhängt, lässt sich sehr genau messen. In einem Messexperiment können die Teilchen durch Rückrechnen bis auf Zehntelmillimeter genau geortet werden.Driftkammern waren bis in die jüngste Zeit sehr erfolgreich. 1983 gelang es, die Vektorbosonen mit ihrer Hilfe nachzuweisen. Mittlerweile sind sie von einer neuen Generation zusammengesetzter Detektoren abgelöst worden.U. Schulte
Universal-Lexikon. 2012.